Vereinbarkeit im Gesundheitswesen – ein Drahtseilakt zwischen Berufung und Realität
Wenn wir über Vereinbarkeit sprechen, fällt der Blick meistens zuerst auf klassische Bürojobs oder moderne New-Work-Strukturen mit Homeoffice, Gleitzeit, Workation und hybriden Modellen. Flexibles Arbeiten? Ist doch in unserer Beratungs-, Marketing- und Corporate-Bubble total easy! Doch was ist mit den Menschen, die unsere Gesundheit sichern – rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, bei Tag und Nacht?
Kaum ein anderer Bereich steht so sehr unter Druck wie das Gesundheitswesen – nicht nur wegen des Fachkräftemangels, sondern auch, weil strukturelle Bedingungen Vereinbarkeit fast unmöglich machen. Dies wird auch deutlich durch die regelmäßig stattfindenden Gewerkschaftsstreiks.
Dabei betrifft das Thema nicht nur einzelne Berufsgruppen, sondern das gesamte System – von der Pflegekraft bis zur Chefärztin und Klinikleitung.
Ein (an)gespanntes System
Die Herausforderungen in Kliniken und medizinischen Einrichtungen sind komplex – und sie unterscheiden sich stark je nach Berufsbild. Während Pflegekräfte häufig mit starren Schichtsystemen, physischen Belastungen und einer kaum planbaren Arbeitsrealität zu kämpfen haben, tragen Ärzt*innen oft eine zusätzliche Verantwortung – oft gepaart mit langen Diensten, unvorhersehbaren Notfällen und extremen Arbeitszeiten.
Der Verwaltungs- und IT-Bereich in Kliniken ist im Vergleich flexibler, doch auch hier ist Homeoffice nicht selbstverständlich – schließlich ist vieles an Präsenz und Klinikbetrieb gebunden. Die Folge: eine Branche, in der Vereinbarkeit immer wieder an ihre Grenzen stößt – oder gar nicht erst gedacht wird.
Schichtdienst, starre Strukturen und die Illusion von Flexibilität
In der Theorie wird viel über flexible Modelle gesprochen. In der Praxis bleiben diese meist Lippenbekenntnisse – oder Angebote, die vor allem Frauen nutzen. Jobsharing im ärztlichen Dienst? Gibt es, ja. Aber fast ausschließlich zwischen Kolleginnen.
Männer, die ihre Arbeitszeit reduzieren, sind im Gesundheitswesen noch immer eine Seltenheit – was nicht nur die Debatte über Gleichberechtigung hemmt, sondern auch die strukturelle Verantwortung wieder einseitig auf Frauen verteilt.
Aber es gibt auch positive Beispiele: Zum Beispiel hat das Mütterzentrum Dortmund e.V. gemeinsam mit der LWL-Klinik Dortmund und der SJG St. Paulus GmbH das EU-Projekt „Randzeitenbetreuung – Ergänzende Kinderbetreuung in Dortmund im elterlichen Haushalt für Pflegekräfte im Klinikbereich“ nach Dortmund geholt. Seitdem können deren Mitarbeiter*innen aus den Pflegeberufen zu Zeiten eine Kinderbetreuung bekommen, die nicht von den institutionellen Angeboten in Kita oder OGS abgedeckt werden.
Herausforderung x 2: Familienalltag zwischen Rufbereitschaft und Kita-Schließzeiten
Ein besonders brisanter Punkt: In vielen ärztlichen Partnerschaften arbeiten beide Elternteile im medizinischen Bereich – häufig sogar in der gleichen Einrichtung.
Die Herausforderung, Kinder zu betreuen, wird in diesen Konstellationen zur logistischen Meisterleistung. Wer übernimmt den Nachtdienst? Wer ist bei Notfällen erreichbar? Und was passiert, wenn die Kita wegen Fortbildung geschlossen ist oder die offene Ganztagsschule in den Ferien ist?
Unser Bildungssystem ist mit diesen realen Arbeitswelten kaum vereinbar. Es passt schlicht nicht zu Wochenenddiensten, Schichtarbeit oder Spontaneinsätzen.
Und wieder trifft es in den meisten Fällen die Frauen.
Denn obwohl sich Familienmodelle weiterentwickeln, bleibt die Verantwortung für Kinderbetreuung und Haushalt häufig bei den Müttern – besonders dort, wo die Belastung ohnehin hoch ist.
“Ich möchte mit der Chefärztin sprechen!”
Warum gibt es so wenige Chefärztinnen – und was hat das mit Vereinbarkeit zu tun?
Der Blick auf die Führungsetagen zeigt deutlich: In den meisten Kliniken sind es Männer, die leitende Funktionen übernehmen.
Nicht, weil es keine fähigen Frauen gibt – sondern weil die Strukturen kaum Raum für Vereinbarkeit lassen.
Eine Facharzt-Ausbildung mit Kind? Für viele Frauen ist das kaum zu stemmen. Starre Schichtdienste, unplanbare Arbeitszeiten und der permanente Erwartungsdruck, jederzeit verfügbar zu sein, machen es fast unmöglich, Familie und Karriere zu vereinbaren – zumindest ohne massiven Verzicht.
Und was jetzt?
Es gibt sie – die Ideen, die funktionieren. Aber sie müssen konsequent gedacht und flächendeckend umgesetzt werden.
Betriebskitas mit Randzeitenbetreuung, Spät- und Frühdienst oder sogar Übernachtungsmöglichkeiten etwa bieten enorme Entlastung – sind aber eher Ausnahme als Standard. Auch die Kooperation mit Familienservices und Notfallbetreuungsangeboten könnte vielen Eltern helfen, durchzuatmen.
Teilzeitmodelle für Ärzt*innen, verlässliche Dienstpläne mit Planungssicherheit, digitale Schichttausch-Systeme, Homeoffice-Optionen für administrative Tätigkeiten – all das sind längst keine utopischen Ideen, sondern in Teilen schon erprobt.
Was es braucht, ist Mut zur Veränderung und die klare Haltung: Vereinbarkeit ist kein Luxus, sondern eine strategische Notwendigkeit.
Und ja, das bedeutet auch, über klassische Grenzen hinauszudenken: Langfristig nutzbare Arbeitszeitkonten, die auch Freistellungen oder Sabbaticals ermöglichen. Eine Kultur, in der Fürsorge nicht als private Herausforderung, sondern als Teil des Arbeitsalltags verstanden wird.
Fazit: Wer Menschen im Gesundheitswesen halten will, muss ihnen zuhören
Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ist längst Realität. Doch während über fehlende Kapazitäten, Ausbildungszahlen und Tarife gesprochen wird, bleibt ein zentraler Hebel oft außen vor: Vereinbarkeit.
Wer will, dass Pflegekräfte, Ärzt*innen und Verwaltungspersonal bleiben, muss ihnen ermöglichen, zu bleiben – auch dann, wenn sie Kinder bekommen, Angehörige pflegen oder einfach nicht rund um die Uhr verfügbar sein können.
Vereinbarkeit im Gesundheitswesen ist herausfordernd, ja. Aber sie ist machbar – wenn wir bereit sind, alte Strukturen zu hinterfragen und neue Wege zu gehen.
Denn am Ende geht es nicht nur um Dienstpläne. Es geht um Menschen, die für andere sorgen – und dabei oft selbst auf der Strecke bleiben. Das darf nicht sein.
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