Arbeitgeberattraktivität durch Stillfreundlichkeit: Kleine Maßnahmen, große Wirkung
Stillen bedeutet nicht nur Nahrungsaufnahme für Neugeborene, es bedeutet vor allem auch Bindung, Sicherheit und Gesundheitsvorsorge für das Kind. Doch für Mütter, die nach dem Mutterschutz oder der Elternzeit wieder in den Job zurückkehren, wird es schnell zur Herausforderung. Wie lassen sich Stillzeit und Erwerbsarbeit miteinander vereinbaren? Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit Mütter nicht vor die Wahl zwischen Kind und Karriere gestellt werden?
In der Realität erleben viele Frauen immer noch eine Arbeitswelt, die auf diese Phase ihres Lebens kaum Rücksicht nimmt. Fehlende Stillräume, unflexible Arbeitszeiten und eine unausgesprochene Erwartung, dass das Thema nach der Rückkehr ins Unternehmen „kein Thema mehr sein sollte“, führen dazu, dass viele Mütter früher als gewünscht abstillen oder mangels Möglichkeiten länger in die Elternzeit verlängern.
Dabei ist die Lösung einfacher als gedacht: Unternehmen, die eine stillfreundliche Arbeitsumgebung schaffen, profitieren in mehrfacher Hinsicht. Sie stärken die Mitarbeiterbindung, verkürzen Elternzeiten und positionieren sich als fortschrittlicher Arbeitgeber. Aber wie sieht das in der Praxis aus?
Stillfreundliche Unternehmen: Ein Gewinn für alle
Ein Unternehmen, das sich aktiv für eine stillfreundliche Kultur einsetzt, signalisiert seinen Mitarbeitenden, dass Vereinbarkeit nicht nur ein leeres Versprechen ist, sondern Teil der gelebten Unternehmenskultur und Mitarbeiter*innen sich darauf verlassen können.
Wenn Mütter ihren Arbeitsplatz nicht als Hürde für ihre Stillzeit erleben, hat das direkte Vorteile: Sie fühlen sich wertgeschätzt, können ihre Rückkehr individueller gestalten und sind eher bereit, früher in den Job zurückzukehren. Unternehmen wiederum profitieren von engagierten Mitarbeitenden, die durch diese Form der Unterstützung eine engere Bindung zum Arbeitgeber aufbauen.
Trotzdem bleiben viele Arbeitgeber hinter den Möglichkeiten zurück, obwohl die rechtlichen Rahmenbedingungen klar sind: Stillende Mütter haben das Recht auf bezahlte Stillpausen während der Arbeitszeit. Das Mutterschutzgesetz sieht vor, dass Mütter nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit mindestens zweimal täglich eine halbe Stunde oder einmal pro Tag eine Stunde Stillzeit nehmen können – ohne dass diese auf Pausen angerechnet wird. Das Problem, ganz viele Mütter und Unternehmen, wissen davon nichts. Die Folge: Mütter fordern ihr Recht auf Stillzeit nicht ein und tragen die Sorge, ihrer Rolle als berufstätige Mutter nicht gerecht zu werden.
Doch während gesetzliche Vorgaben das absolute Minimum sind, liegt es an den Unternehmen, über diese Standards hinauszugehen und echte Vereinbarkeit zu ermöglichen.
Stillzeit am Arbeitsplatz: Welche Maßnahmen wirklich helfen
Eine stillfreundliche Unternehmenskultur bedeutet nicht, dass ein kompletter Betriebsablauf umgestellt werden muss. Vielmehr geht es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Bedürfnissen von Müttern gerecht werden – ohne dass sie sich ständig erklären oder rechtfertigen müssen.
Ein erster guter Schritt ist die Einrichtung eines Still- und Ruheraums. Viele Unternehmen haben ungenutzte Besprechungsräume oder kleine Büroflächen, die sich ohne großen Aufwand umgestalten lassen. Wichtig ist, dass diese Räume wirklich für stillende Mütter vorgesehen sind – und nicht plötzlich als Abstellkammer oder Rückzugsort für andere Zwecke genutzt werden. Eine angenehme Sitzgelegenheit, eine Steckdose für elektrische Milchpumpen und eine Möglichkeit zur Kühlung der Milch sind dabei genauso wichtig.
Neben der Infrastruktur spielt die individuelle Absprache mit den Mitarbeitenden eine große Rolle. Schon vor der Elternzeit sollte in Gesprächen geklärt werden, wie sich die Mutter den Wiedereinstieg vorstellt. Möchte sie weiterhin stillen? Wünscht sie sich flexible Stillzeiten oder eine Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten? Ist mobiles Arbeiten eine Option?
Hier gilt: Je offener das Unternehmen für individuelle Lösungen ist, desto besser gelingt die Rückkehr in den Job. Manche Mütter möchten nach wenigen Monaten wieder arbeiten, andere planen eine längere Stillzeit – es sollte selbstverständlich sein, dass beides seinen Platz hat.
Der richtige Wiedereinstieg: Eltern nicht allein lassen
Ein Unternehmen kann noch so viele strukturelle Angebote schaffen – wenn die Rückkehr aus der Elternzeit nicht wertschätzend gestaltet wird, fühlen sich viele Mütter trotz guter Rahmenbedingungen verloren. Der Übergang von der Elternzeit in den Job sollte deshalb aktiv begleitet werden.
Das beginnt mit einer offenen und wertschätzenden Kommunikation, in der die individuellen Wünsche und Bedürfnisse besprochen werden. Nicht jede Mutter wird nach der Elternzeit sofort in den gewohnten Arbeitsrhythmus zurückkehren wollen oder können. Flexible Arbeitszeiten, Teilzeitmodelle oder hybride Lösungen können helfen, die Rückkehr an die veränderten Lebensumstände anzupassen.
Zudem profitieren Mütter enorm von internen Netzwerken oder Mentoring-Programmen. Der Austausch mit anderen Eltern im Unternehmen – insbesondere mit Frauen, die selbst den Spagat zwischen Stillzeit und Job erfolgreich gemeistert haben – kann helfen, Ängste abzubauen und Lösungen für den eigenen Alltag zu finden.
Oft vergessen, aber wahnsinnig wichtig, sind die (richtigen) Schulung von Führungskräften. Viele Vorgesetzte haben wenig Erfahrung im Umgang mit stillenden Müttern im Team und wissen nicht genau, wie sie unterstützen können. Sensibilisierung für Vereinbarkeitsthemen, offene Gesprächsformate und eine klare Haltung des Unternehmens helfen dabei, Vorurteile abzubauen und eine Kultur zu schaffen, in der Stillzeit als selbstverständlicher Bestandteil des Arbeitslebens wahrgenommen wird.
Kinderbetreuung bitte nicht vergessen!
Echte Vereinbarkeit im Unternehmen bleibt am Ende auch nur eine Theorie, wenn es keine Lösung für die Betreuung von Kindern gibt.
Betriebseigene Kinderbetreuungsmöglichkeiten oder Kooperationen mit externen KiTas und Tageseltern sind deshalb ein entscheidender Faktor. In manchen Fällen kann eine Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen sinnvoll sein, um Betreuungsangebote gemeinsam zu realisieren. Auch finanzielle Zuschüsse für private Kinderbetreuung können eine große Unterstützung sein.
Besonders innovativ sind Co-Working-Spaces mit Kinderbetreuung, die in einigen Städten bereits existieren. Hier haben Eltern die Möglichkeit, in Ruhe zu arbeiten, während ihre Kinder in unmittelbarer Nähe betreut werden. Solche Konzepte könnten auch für Unternehmen im Corporate Coworking eine sinnvolle Lösung sein.
Fazit: Stillfreundlichkeit ist ein Wettbewerbsvorteil
Stillzeit und Erwerbsarbeit dürfen kein Widerspruch sein – und doch erleben viele Mütter noch immer eine Arbeitswelt, die ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt. Dabei liegt es in der Hand der Unternehmen, Vereinbarkeit nicht nur auf dem Papier zu fördern, sondern in der Praxis umzusetzen.
Ein stillfreundliches Unternehmen bedeutet:
- Mütter müssen sich nicht entscheiden, sondern können Stillzeit und Job flexibel gestalten.
- Mitarbeitende fühlen sich wertgeschätzt und langfristig an das Unternehmen gebunden.
- Das Unternehmen positioniert sich als moderner, familienfreundlicher Arbeitgeber – mit echten Wettbewerbsvorteil.
- Es braucht keine riesigen Investitionen, um Stillzeit im Job selbstverständlich zu machen. Oft reichen kleine Anpassungen, offene Kommunikation und eine wertschätzende Haltung, um für Mütter den entscheidenden Unterschied zu machen.